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Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms und seine Folgen
Fast anderthalb Jahren dauert der russische Überfall auf die Ukraine nun an. Jeden Tag erreichen uns neue schockierende Nachrichten von dort, so auch letzte Woche mit der Zerstörung des gewaltigen Kachowka-Staudamms am Fluss Dnipro in der überwiegend von Russland besetzten ost-ukrainischen Region Cherson.
Es war mitten in der Nacht auf Dienstag, den 06. Juli 2023 als ein großer Knall viele Menschen in der Region aus dem Schlaf riss. Gegen 02:50 Uhr Ortszeit ereignete sich eine gewaltige Explosion am Kachowka-Staudamm und riss ein metergroßes Loch in die Staumauer. Binnen kürzester Zeit ergoss sich eine gewaltige Welle aus Wasser über die Uferregion des Dnipro und richtete immense Zerstörung in dem ohnehin schon durch Kriegshandlungen verwüsteten Gebiet Cherson an.
Über 80 Ortschaften, darunter auch Teile der erst letztes Jahr von ukrainischen Truppen zurückeroberten Gebietshauptstadt Cherson, wurden völlig überflutet. Die rund 16.000 Einwohner der überfluteten Zone befinden sich in akuter Lebensgefahr
Aufgrund der schwierigen Lage der Region direkt an der Front ist es fast unmöglich zu ermitteln, wie viele Menschen durch die direkten Folgen des Staudammbruchs ums Leben gekommen sind. Die schrecklichen Bilder der überfluteten Dörfer und Siedlungen und zerstörten Häuser lassen aber schlimmstes befürchten.
Dazu werden Evakuierungsbemühungen der ukrainischen Seite am westlichen Ufer des Dnirpo von russischer Artillerie massiv behindert, wodurch es noch schwieriger wird, die Menschen aus dem Katastrophengebiet zu retten.
Die Suche nach dem Schuldigen
Politiker weltweit zeigten sich über die Zerstörung des Staudamms entsetzt. Die Vereinten Nationen bezeichneten die Zerstörung des Damms als „entsetzliche Katastrophe mit weitreichenden Folgen für die gesamte Region“. Während viele westliche Staatschefs und Politiker sowie die Vertreter der Ukraine Russland für die Zerstörung des Staudamms verantwortlich machten, wirft die russische Regierung der Ukraine hingegen vor, den Damm sabotiert zu haben.
Wie für solche Konflikte üblich, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht eindeutig festzustellen, wer für die Zerstörung des Staudamms verantwortlich ist. So ist derzeit unklar, ob der Staudamm vorsätzlich zerstört wurde, um die ukrainische Gegenoffensive am Dnipro aufzuhalten, oder ob es sich womöglich sogar um einen Unfall handelt.
Fest steht allerdings auch: Die Zerstörung des Dammes ist in einem direkten Zusammenhang mit dem völkerrechtswidrigen russischen Überfall auf die Ukraine zu betrachten. Daher trägt die russische Regierung auf jeden Fall die Hauptverantwortung für die Zerstörungen und den Verlust von Menschenleben, die als Folge dieser Katastrophe zu beklagen sind, sowie für alle weiteren Zerstörungen und Schäden, die durch den Krieg entstanden sind.
Folgen für die Region werden wohl katastrophal sein
Die Frage der Schuld spielt allerdings aktuell für viele Betroffene in der überfluteten Region nur eine untergeordnete Rolle. Diese Menschen sind auf schnelle Hilfe angewiesen – auch aus anderen Ländern, sowie von den Vereinten Nationen und anderen Hilfsorganisationen.
Mit der Überflutung steigt im Gebiet auch das Risiko von Seuchen und Krankheiten. Außerdem waren beide Uferseiten des Dnipro aufgrund der Lage als direkte Frontlinie zwischen der von ukrainischen Truppen gehaltenen Region und der russisch besetzten Gebiete vermint worden. Diese Minen treiben jetzt größtenteils im Wasser und werden an anderer Stelle wieder ans Ufer gespült werden, was auf viele Jahre noch erhebliche Gefahren für Mensch und Tier darstellen wird.
Des Weiteren sind auch enorme wirtschaftliche Schäden zu erwarten, die sich erst Mittel- bis langfristig in ihrer Dimension voll auswirken werden.
In der Region gibt es viele landwirtschaftliche Flächen, die völlig überflutet wurden und somit zu verheerenden Ernteausfällen führen werden. Der Kachowka-Staudamm hat für die Bewässerung dieser Felder gesorgt. Es ist daher zu befürchten, dass die Felder in Folge der Zerstörung nicht mehr bewässert werden können, wodurch die Landwirtschaft in der Region dauerhaft Schaden nehmen wird.
Durch den Wegfall der Bewässerung wird es zudem zu einem Mangel an Trinkwasser in der Region kommen. Selbst auf der weit entfernten Krim, die ebenfalls aus Cherson mit Trinkwasser versorgt wird, werden die Folgen spürbar sein.
Doch sei all dies nicht schon schlimm genug, ist auch eine katastrophale Schädigung des regionalen Ökosystems durch die Zerstörung des Staudamms zu erwarten. Bislang sind rund 150 Tonnen Maschinenöl in den Dnirpo gelangt, weitere 300 Tonnen, die jederzeit entwichen können, befinden sich noch in der zerstörten Kraftwerksanlage.
Durch das rapide Absinken der Wassermenge im Stausee ist der Bestand von Millionen von Fischen akut bedroht. Bereits jetzt gibt es Berichte von tausenden toten angeschwemmten Fischen. Umweltorganisationen sprechen bereits von einem „Ökozid“ als Folge der Zerstörung des Staudamms.
Vorläufige Entwarnung gibt es jedoch von Europas größtem Kernkraftwerk Saporischja. Die Reaktoren des AKW werden mit dem Wasser des Stausees gekühlt, ein Wegfall der Kühlung hätte unter Umständen fatale Ausfälle im AKW zur Folge. Laut der internationalen Atomenergiebehörde IAEA reicht das Wasser des Reservetanks des Kraftwerks aus, um die Reaktoren noch für mehrere Monate zu kühlen. Dennoch ist das von russischen Truppen besetze AKW bereits mehrfach in die direkte Schusslinie beider Kriegsparteien geraten. Es wird also einmal mehr deutlich, welche Dimension der russische Angriff auf die Ukraine für Europa und den Rest der Welt bedeutet
Kriegsparteien und internationale Gemeinschaft sind jetzt gefordert
Diese fürchterliche Katastrophe zeigt erneut auf, wie wichtig es ist, dass die internationale Gemeinschaft schnell und entschieden handelt, um den Menschen im Katastrophengebiet jede benötigte Unterstützung zukommen zu lassen.
Beide Seiten müssen umgehend alle Kampfhandlungen im direkten Katastrophengebiet einstellen, um den Helfern eine zügige Evakuierung der Menschen vor Ort zu ermöglichen. Die Helfer dürfen dabei nicht durch Beschuss der Artillerie oder andere Waffensysteme befürchten müssen!
Westliche Regierungen, darunter auch die Bundesregierung, müssen auf die russische Regierung einwirken, internationalen Hilfsorganisationen den Zugang in das russisch besetzte Gebiet zu gewähren. Bisher gibt es dort kaum Anstrengungen der russischen Besatzer, den betroffenen Menschen Zugang zu Hilfe zu ermöglichen.
Allerdings kann es bei der Hilfe gegen die direkten Folgen der Katastrophe alleine nicht bleiben. Die Region braucht auf Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte, Hilfe durch die internationale Gemeinschaft, um die gewaltigen Schäden, die an der Infrastruktur, der Wirtschaft und dem Ökosystem entstanden sind zu beheben.
Was die Aufklärung der Frage der Verantwortung und dem genauen Hergang der Katastrophe betrifft, muss es schnellstmöglich eine international unabhängige Untersuchung (möglicherweise im Rahmen der Vereinten Nationen) geben, um die Schuldigen für diese Katastrophe zu identifizieren und zur Rechenschaft zu ziehen. Eins muss aber auch ganz klar festgestellt werden: Die Verantwortung für diese seit mehr als 15 Monate andauernde völkerrechtswidrige Invasion tragen alleine Putin und sein Regime, welches schon oft bewiesen hat, dass ihm Menschenleben völlig egal sind.